RADIKALkontrast
Digitale Frühkunst von Oliver Raszewski trifft auf analoge Objekte der eklektizistischen Sammlung von Wolf Raimann
Eröffnung: 10. Juni, 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 12. Juni – 28. Juli 2023
Digitale Frühkunst von Oliver Raszewski trifft auf analoge Objekte der eklektizistischen Sammlung von Wolf Raimann
Eröffnung: 10. Juni, 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 12. Juni – 28. Juli 2023
Was kann Kunst?
Die Ausstellung RADIKALkontrast bringt Kunstwerke aus tausend Jahren in den Dialog
Was Kunst vermag, diese Frage scheinen die Werke, die in der Ausstellung RADIKALkontrast einander gegenübergestellt werden, immer wieder zu stellen. „Ich möchte mit der Ausstellung RADIKALkontrast unser Menschsein in möglichst vielen Facetten abbilden“, sagt Thomas Hühsam zum Konzept einer Schau, die ein Wagnis ist, zwischen gestern und heute, Geschichte und Gegenwart, analog und digital.
Ein Funke zu der Idee für diese Ausstellung speist sich aus der Nachwirkung der weitsichtigen Kunst von Oliver Raszewski, der im Mai 2022 viel zu früh verstarb. „Der Olli war ein Pionier der Digitalkunst“, sagt Thomas Hühsam, der mit ihm unzählige Projekte in Offenbach und anderswo realisiert hat – darunter die Kunstansichten und Ausstellungen in der Fahrradhalle.
Der zweite Funke entzündete sich durch die Freundschaft mit dem Galeristen, Kunsthändler und Designer Wolf Raimann. Der passionierte Kunstkenner und Avantgardist umgibt sich in seinem Lebensmittelpunkt, einem Fachwerkschloss in Hünfelden mit hochkarätiger Kunst vieler Epochen und Kulturen. Er hat die Ausstellung kuratiert und in den vielen Jahren seiner Tätigkeit eine der bedeutendsten eklektizistischen Sammlungen im deutschsprachigen Raum aufgebaut, eine „Wunderkammer“, ein „Reich der Sinne“ zusammengetragen. Nicht das Alter, das Material, die Bekanntheit des Künstlers und die Herkunft bestimmen für ihn den Wert eines Objektes, sondern einzig und allein, was es mit einem anstellt. Die große Unterschiedlichkeit der Objekte an sich und die visuelle Zuordnung in der Ausstellung manifestieren den eklektizistischen Ansatz – der auserlesene Stücke miteinander ins Spannungsfeld setzt.
Kunst als Kraftquelle
Wolf Raimann ist jemand, der Kunst, oder besser energetische Objekte, nicht in Vitrinen sperrt, sondern mit ihnen lebt – und sie durch seine Neugier auf alles, was menschliche Kreativität und die Natur hervorbringen können, durchdrungen hat.
In dieser inspirierenden Umgebung, die den Galeristen bei jedem Besuch mit Kraft und Inspiration auflädt, wurde die Idee zu dem umfassenden Ausstellungsprojekt über Monate entwickelt. „Wolf hat ein sicheres Auge und eine gute Hand für Kunst und ich mag seine unkonventionelle Art zu denken“, sagt Hühsam. Und unkonventionell ist auch die Kombination der Kunstwerke für RADIKALkontrast. Man soll ins Staunen geraten ob der Gegensätzlichkeiten, aber auch der Verbindungen der miteinander in Zwiesprache gestellten Objekte. „Wichtig ist, dass die Leute nachdenken, sich fragen: Was ist denn das und was macht das mit mir?“, sagt Wolf Raimann. Er hat die Ausstellung kuratiert und möchte, dass aus den Gegenpolen, die hier miteinander in Aktion treten, neue Blickwinkel und Sichtweisen entstehen. So gesellen sich die „Spookies“ (1996) von Ben Patterson, der die Fluxus-Bewegung mitgegründet hat, zum Kometen „Hale Bopp“ von Oliver Raszweski, die Abbildung „Platine“ findet ihren Konterpart in „Robot“ (1990) von Fluxus-Mitglied und „Vater der Video-Kunst“ Nam June Paik. Präsentiert wird auch ein echter originalsignierter Warhol im Kontrast zur futuristischen Darstellung einer Euro-Münze von Raszweski. Die mutigen Kombinationen, die gut durchdacht sind, wirken jedenfalls in hohem Maße stimulierend. „Im Kontrast entsteht Spannung und öffnet den Blick für eine völlig neue Dimension der Stücke“, ist Wolf Raimann überzeugt.
Neue Dimensionen
Hier werden nicht nur neue Dimensionen in den unterschiedlichen Techniken aufgemacht, sondern auch in der Kunstgeschichte. Beispielsweise werden federgeschmückte Schädel aus Papua-Neuguinea (die dem Ahnenkult dienten) einer futuristischen Abbildung des Internets entgegengestellt. Es handelt sich dabei um die erste grafische Darstellung des Phänomens Internet, die Oliver Raszewski mit dem Computer künstlerisch bearbeitet hat. Die Kombination mit den Schädeln erinnert uns daran, dass das größte Netzwerk, über das wir verfügen, das neuronale Netz ist, das sich in unserem menschlichen Gehirn befindet. Einem Schwarzweißfoto mit dem Titel „Volles Schiff“, auf dem wir einen mit flüchtenden Menschen überfüllten Ozeanriesen sehen, wird das Gemälde „Hund über Bord“ von Günther Rechn (Acryl auf Leinwand, 1995) gegenübergestellt. Vielleicht sollten wir angesichts dessen einmal darüber nachdenken, wie wir mit unseren Mitwesen umgehen. Ein Foto von Courtney Love und Kurt Cobain mit dem Titel „Family“, auf dem das Paar sehr separiert wirkt, steht plötzlich im Kontext zu ozeanischen Skulpturen, „Hausgeistern“ aus Eisenholz. Dazu könnte einem viel einfallen. Zum Beispiel, dass Familie das Wichtigste für uns ist und gleichzeitig die Hölle sein kann.
Die Stücke, die Wolf Raimann aus seiner Sammlung für die Ausstellung ausgewählt hat, sind in jahrelanger Begeisterung für und Neugier auf Kunst und Kultur zusammengekommen. Kein Stück ist aus kommerziellen Gründen Bestandteil der Sammlung geworden „Ich verstehe mich als einen Pfadfinder zwischen den Kulturen und Epochen“, sagt er. „Worauf es mir aber ankommt, das sind Ästhetik, Form und handwerkliche Qualität.“ Diese Eigenschaften besitzen alle Artefakte der Ausstellung RADIKALkontrast.
Die Zeit als Protagonistin
Durch die Artefakte aus anderen Epochen wird deutlich, dass im Grunde die Zeit die Protagonistin in Oliver Raszewskis Werk ist. Viele seiner Kunstwerke muten noch heute, dreißig Jahre nach ihrer Entstehung, überraschend aktuell an. Die Werke seiner Serie „Decade“, die in einer Auswahl zu sehen sind, beruhen alle auf echten Fotos, die wir in der Zeit zwischen 1989 und 2002 X-mal in den Medien gesehen haben. In diesem Projekt zog Raszewski eine bildhafte Bilanz der Zeitphase, die mit dem Mauerfall 1989 beginnt und mit dem Bild der brennenden Zwillingstürme nach dem Anschlag am 11. September 2001 endet. Für seine Betrachtung eines Zeitalters hat er 50 Bilder häufig fotografierter Personen und Ereignisse eingescannt, verfremdet und auf Leinwand gedruckt. Durch die Digitalisierung mit speziellen Filtern wirken sie teilweise dreidimensional wie alte Reliefs. „Die Fotos stehen ikonenhaft für ein Zeitalter und Olli hat schon an der nächsten Dekade gearbeitet. Diese Ausstellung ist für Wolf und mich ein Experiment im Spannungsfeld Kunst“, sagt Thomas Hühsam.
Ingrid Walter – Walter Wortware (www.walter-wortware.de)